Die führende französische Juristenvereinigung Association Henri Capitant verbreitete kürzlich den Vorschlag der Ausarbeitung eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuches, in dem die gesamte europäische Gesetzgebung aus dem Bereich des Wirtschaftsrechts gesammelt und zugänglich gemacht werden soll. Als ersten Schritt in diese Richtung hat die Vereinigung unter Mitwirkung von vierzehn renommierten Rechtswissenschaftlern bereits ein „Inventar“ der wirtschaftsrechtlichen EU-Regelungen erstellt.
Unübersichtlichkeit des europäischen Wirtschaftsrechts
Anlass dieses Vorschlags ist die Unübersichtlichkeit der existierenden EU-Regelungen im Bereich des Wirtschaftsrechts. Eine große Fülle an europäischen Normen regelt fast alle Bereiche und Formen der unternehmerischen Tätigkeit in den EU-Mitgliedstaaten, welche zumeist schwer zu handhaben oder oft auch inkohärent ist. Mit der Ausarbeitung eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuches wollen die Initiatoren die bestehende EU-Gesetzgebung auf übersichtliche und verständliche Art und Weise in einem einheitlichen Werk darbieten. Im Zuge dessen stellt für sie ein weiteres Ziel die Vereinheitlichung bestimmter Bereiche dar, die bisher lediglich harmonisiert sind, so beispielsweise die Vereinheitlichung des Rechts der Vertriebsverträge.
Die Ausgestaltung eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuches
Bezüglich der konkreten Ausgestaltung und Arbeitsmethoden eines solchen Gesetzbuches sowie seines Rechtscharakters und der Kompetenzgrundlagen bleiben jedoch noch viele Fragen zu klären. In diesem Sinne schlagen die Initiatoren die Ausrichtung einer internationalen Konferenz im kommenden Frühjahr vor, auf der an der Arbeit an dem Projekt Interessierte aus unterschiedlichen Ländern und Bereichen zusammenkommen sollen. An der Diskussion über die Ausgestaltung des Gesetzbuches werden Vertreter aus verschiedenen Sektoren der Wirtschaft, aus der Politik, der Rechtswissenschaft und der juristischen Praxis aus allen Teilen Europas teilhaben müssen. Ferner werden angeregte Vereinheitlichungen und Innovationen etwa für die stärkere Eröffnung des Rechts der Finanzmärkte zu Gunsten kleinerer und mittlerer Unternehmen auszudiskutieren sein. Auch wird bei der traditionellen Frage nach der Zuständigkeit im Verhältnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten Klärungsbedarf sein. Die systematische Zusammenfassung der EU-Regelungen muss auf supranationaler Ebene stattfinden und deutlich machen, wann und wo diese in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten greifen.
Das Projekt eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuches steckt noch in den Kinderschuhen. Dennoch lässt die französische Initiative darauf hoffen, zukünftig über einen besseren rechtlichen Rahmen für wirtschaftliche Aktivitäten auf dem europäischen Binnenmarkt zu verfügen als ihn die bisherige Gesetzgebungstechnik bietet.
Vgl. Schulze, Reiner: „Das Europäische Wirtschaftsgesetzbuch. Eine Chance für den Binnenmarkt?“, in: Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht, 6/2016, S. 241-242.